Gabriele Yonan: Jehovas Zeugen - Opfer unter zwei deutschen Diktaturen 1933-1945, 1949-1989. Berlin - Bühl 1999.


INHALT

VORWORT
von GALINA A. KRYLOVA -
5

Religionsfreiheit in Rußland auf dem Prüfsstein

EINLEITUNG - 7

Zeugen Jehovas - Opfer totalitärer Gewalt in zwei Diktaturen- 7
Eine Bilanz - 8
Glaubensverfolgungen in der Geschichte - 9
Tradition des Chiliasmus - 10
Wer sind Jehovas Zeugen? - 11
Rekapitulation: Fakten und Anerkennung des Widerstands - 12

TEIL I WIDERSTAND IM NATIONALSOZIALISMUS AUS CHRISTLICHER ÜBERZEUGUNG - 14

Deutsche Konzentrationslager - 15

Der Hitlergruß - 17

Versagen der Großkirchen während der NS-Herrschaft - 18

Bekennende Kirche - Widerstand in eigener Sache - 20

Zeugen Jehovas im Nationalsozialismus - 22

Die Erklärung vom 25. Juni 1933 - 23
"Kreuzzug gegen das Christentum" - 29
Deutung und Bewertung des religiösen Widerstands - 34
Zusammenfassung - 36

ZUM BEGRIFF "HOLOCAUST" - 38

THEORIE UND PRAXIS DES WIDERSTANDTS - 41

ZEUGNISSE AUS KONZENTRATIONSLAGERN - 43

Die Bedeutung von Zeitzeugen - 43

Bruno Bettelheim - 44
Niels Jorgensen - 46
Asger Dan Werge - 48
Rudolf Höss - 49
Margarete Buber-Neumann - 51
Konrad Franke - 58

DOKUMENTE - 64

Erklärung - 64
Bibelforscher-Revers - 74

TEIL II VERFOLGUNG IN DER KOMMUNISTISCHEN DDR - 75

Nachkriegszeit 1945-1948: Wiederaufbau - 76

Der Berliner Kongreß 1949: "Es ist später als du denkst" - 76

Die Verfolgung beginnt: "Über Maßnahmen gegen die Organisation 'Zeugen Jehovas'" - 80

"Der Minister hat Kenntnis genommen": Eine Petition an die Regierung der DDR - 81
"Apostel der Atombombe": Pressekampagne und Verhaftungswelle - 83
Die Stunde der Justiz: Schauprozesse gegen Zeugen Jehovas - 85
Zwei Berichte über die Zeit in DDR-Gefängnissen - 88
Aberkennung des Status "Opfer des Faschismus" - 89

Bruder Hüter? Die Stimme der Kirche - 91

Staatssicherheit vs. Zeugen Jehovas: Vierzig Jahre im Untergrund - 93

Diffamierungskampagnen: eine Stasi-"Dokumentation" - 96 Zitate zum Urani-Buch und Manfred Gebhard...

Die Ära Honecker 1971-1988: "Feindzentrale"-Wachtturm-Gesellschaft - 99

Untergang der DDR und Anerkennung als Religionsgemeinschaft - 102

Zusammenfassung - 103

DOKUMENTE - 105

Petition - 105
Entscheidung des Obersten Gerichts der Deutschen Demokratischen Republik - 111

ANHANG - 123

Bemühungen einer Religionsgemeinschaft um Anerkennung - 123

Ein Rechtsstreit um Anerkennung: 1990 bis 1997 - 124
Bedeutung der Körperschaftsrechte - 125
Die Folgen des Rechtsstreites - 126
Der neue Kurs: Einrichtung eines Informationsdienstes - 127
Zusammenfassung - 129

Resolution der Zeugen Jehovas vom 2. August 1998 - 130

Über die Gründe, warum Zeugen Jehovas nicht wählen - 133

Wahlpflicht unter dem NS-Regime und der kommunistischen DDR - 134

Wahlrecht in der demokratischen Bundesrepublik Deutschland - 135

Literatur - 137


ZITATE
(Quellenhinweise sind den Anmerkungen im Original zu entnehmen)

[Seite 23]

Die Erklärung vom 25. Juni 1933

Da sich die Lage der Zeugen Jehovas zusehends verschlechterte, am 24. Juni war auch ein Tätigkeitsverbot in Preußen erlassen worden, beschloß die Watch Tower Society in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Zweigbüro, am 25. Juni 1933 einen Kongreß in Berlin-Wilmersdorf durchzuführen. Von den 7.000 Teilnehmern wurde eine offizielle 'Erklärung' bzw. Kongreßresolution verabschiedet, die sich gegen die falschen Beschuldigungen einer staatsgefährdenden Tätigkeit wendete und die strikte politische Neutralität der Glaubensgemeinschaft unterstrich. Diese Resolution wurde als Eingabe oder Petition zusammen mit einem Begleitschreiben an Reichskanzler Adolf Hitler adressiert. Während der Begleitbrief direkt an den Reichskanzler gerichtet war, wendet sich die 'Erklärung' ganz allgemein an 'die Führer des Volkes'. Sie wurde dann auch als Flugblatt an die deutsche Bevölkerung verteilt. Das Dokument enthält von einem säkularen Standpunkt aus gesehen keineswegs politische Argumente, sondern wendet sich als Predigt und Mission an 'die Führer des Volkes'. Es ist eine klare Absage an jegliche weltliche Macht, aber es unterstellt suggestiv, daß der Reichskanzler Adolf Hitler selbst das Gute will, wollen muß. Falls aber nicht, dann gehörte er dem Reiche Satans an. Dann war Hitler der Feind Jehovas und seiner Zeugen und mußte bekämpft werden. Diese direkten Ausführungen ließen nur zwei Schlußfolgerungen für den Reichskanzler zu: daß es sich hier um kollektive Wahnvorstellungen einer religiösen Gemeinschaft handelte oder um eine aberwitzige, dreiste Kampfansage eines biblischen David an Goliath.

[Seite 24]

Die Interpretation der 'Erklärung' an Hitler als 'Anpassungskus' der deutschen Zeugen Jehovas ist deshalb falsch, weil sie das meta-historische, geschlossene Weltbild der millenistischen Religionsgemeinschaft aus ihrem eigenen Kontext herauslöst und in die säkulare Zeitgeschichte überträgt und deutet.

Während die mächtige universale römisch-katholische Kirche dem Diktator ihre Hand zum hochpolitischen Gentlemen-Agreement, dem Konkordat, ausgestreckt hatte, blies hier eine winzige christliche Splittergruppe auf der Trompete von Jericho und verlangte im Verkündigungsstil allen Ernstes von Hitler, sich Jehovas Willen gänzlich zu unterstellen - mit der Zusage, sich dann neutral verhalten zu wollen, so wie sie es in anderen Staaten auch praktizierten. [...] Man distanzierte sich von den Vorwürfen, Unterstützung von Juden oder Bolschewisten zu erhalten, die dem Reichskanzler offenbar von 'Satan' - der Kirche (n) - als Ohrenbläser eingeflüstert wurden. In der Tat bemühten sich die Kirchen seit langem, die 'sektiererische' , vor allem aber stark missionierende Glaubensgemeinschaft offiziell vom Staat verbieten zu lassen. In der Weimarer Republik waren sie damit gescheitert.

Die von den Kirchen heute herausgehobenen Zitate der damaligen 'Erklärung' sind nicht antisemitisch oder antijüdisch einzuordnen, im Grunde spiegelt sich darin die antiweltliche Haltung der Zeugen Jehovas wider. Die Polemik gegen das 'anglo-amerikanische Weltreich mit seinem Großgeschäft' (big business), das von den 'Handelsjuden' (commercial Jews) aufgebaut wurde, muß im gesamten Kontext der Zeitgeschichte (Weltwirtschftskrise 1929) und als Übersetzung aus dem amerikanischen Originaltext gewertet werden. Die Erklärung vom 25. Juni 1933 enthält folgende klare Aussagen:

Alle vorgebrachten Argumente werden durch Zitate aus der Bibel als einziger Autorität und Richtschnur für das Handeln von Zeugen Jehovas belegt. [Seite 25] Es ist auch interessant, daß besonders darauf hingewiesen wird, daß die Zeugen Jehovas keine Kritik an den "aufrichtigen Religionslehrern" üben , sondern sich nur gegen "verkehrte religiöse Einflüsse in politischen Angelegenheiten des Staates" wenden. Man kann nicht einmal den Vorwurf erheben, daß sie gegen andere Glaubensinhalte der Kirchen polemisieren: "Wir suchen niemanden zu hindern, zu lehren oder zu glauben, was ihm beliebt."

Deutlich wird jedoch die antiklerikale Haltung der Zeugen Jehovas, explizit nennen sie die [katholische] Kirche und die Jesuiten ihre Feinde. Eher naiv stellen sie heraus, daß ihre "amerikanischen Brüder das Werk in Deutschland fleißig unterstützen", daß aber die Verweltlichung der Kirchen in Amerika verwerflich sei. Die scheinbare Übereinstimmung mit Hitler in der Haltung gegenüber dem Völkerbund leitet sich ebenso aus ihrem religiösen Weltbild her. Die in die Erklärung eingefügte Weltuntergangsprophezeiung, als zentraler Glaubenslehre der Gemeinschaft zu einem Zeitpunkt, da Hitler sich anschickte sein Tausendjähriges Reich aufzubauen, konnte von den Nationalsozialisten nur als Kampfansage verstanden worden sein.

Wie wenig ihnen das antisemitische Vokabular der Zeit geläufig ist, beweist der unbefangene Umgang mit alttestamentlichen Zitaten, in denen 'Zion' vorkommt. Die Erklärung gipfelt in der Aussage, daß diejenigen, die gegen Jehovas Zeugen kämpfen, unweigerlich verlieren würden, da diese mit Gott im Bunde stehen. "...was aber uns betrifft, so werden wir auf ewig Jehova dienen". Sollte Hitler diese Erklärung je persönlich gelesen haben, so müßte einer seiner historischen Wutanfälle die Folge gewesen sein. Die im Bezug auf die Zeugen Jehovas ihm zugeschriebene Ausspruch "Diese Brut muß vernichtet werden", klingt daher sehr authentisch.

Wenn man den gesamten Text der Erklärung vom 25. Juni 1933 zusammen mit dem Brief an Hitler im historischen Rückblick in den Kontext der Geschichte der Zeugen Jehovas während des deutschen Nationalsozialismus, ihres religiösen Widerstandes und des Holocaustgeschehens stellt, so geht es hier nicht um "antisemitische Äußerungen und Anbiederung an Hitler". Diese Vorwürfe aus heutigen kirchlichen Kreisen sind bewußte Manipulationen und geschichtliche Verfälschung, ihr Motiv ist offensichtlich das Unbehagen einer moralischen Unterlegenheit. Auch im historischen Vergleich mit der eindeutigen Haltung beider Großkirchen zum Nationalsozialismus seit seinen Anfängen kann von einem 'Anpassungskurs' der Zeugen Jehovas in Deutschland keine Rede sein. Zum Zeitpunkt des Kongresses und noch viel später haben Regierungen, Staatsmänner, Diplomaten aller Länder mit Hitler verhandelt und ihm ihren Respekt und Reverenz erwiesen. [Seite 26] Als 1936 in Berlin unter dem Hakenkreuz die internationalen Olympischen Spiele stattfanden, waren bereits Hunderte von ihnen in die Konzentrationslager eingeliefert.

Man kann das Dokument in seiner nach menschlichem Ermessen völlig unrealen Einschätzung der politischen Situation der Lächerlichkeit preisgeben. Davon gehen heute offenbar Kritiker aus Kirchenkreisen in Deutschland aus, die von strategischer Lenkung des Widerstandes durch die amerikanischen Leitung der Wachtturm-Gesellschaft sprechen. Dies ist ein säkularer Standpunkt, der mehr über die Unfähigkeit der deutschen Großkirchen, sich ihrer Vergangenheit zu stellen, aussagt als zur Wahrheitsfindung beiträgt. Die großen Kirchen in Deutschland waren und sind in den politischen und sozialen Gegebenheiten des Staates verankert und damit selbst Teil der säkularen Welt. Insofern war die Kritik an ihnen völlig berechtigt. Als Glaubensinstitution waren die Kirchen in der Zeit der NS-Herrschaft unfähig, nach den buchstäblichen biblischen Geboten zu handeln oder die Mehrzahl ihrer Mitglieder dazu zu motivieren. [...]

[Seite 36]

Zusammenfassung

Die Logik der Zeugen Jehovas fügte sich nicht in die Logik des 'gesunden Menschenverstandes', was die Erkenntnis gefordert hätte, daß man der Diktatur Hitlers nicht widerstehen konnte und daß ein gewaltloser Widerstand einer kleinen Glaubensgemeinschaft zu ihrer Auslöschung führen mußte. Es war eine 'Logik des absoluten Glaubens' einer fundamentalistisch-biblischen Gemeinschaft, die solchen glaubensmotivierten Widerstand möglich machte.

Es ist erstaunlich, daß gerade die Kirchen heute eine Glaubensgemeinschaft zur Rechtfertigung ihres damaligen Widerstandes zwingen, die nach unwiderlegbarer Beweislage einmalige Standhaftigkeit bewiesen und außerordentliche Opfer gebracht hat.

Der Widerstand der Zeugen Jehovas beweist zweierlei: daß auch eine größere Gruppe letztlich nichts bewirken konnte, aber auch, daß pazifistischer Widerstand in Form von Verweigerung möglich war, daß der Preis dafür jedoch wirklich das eigene Leben war. Das ist eine Antwort auf die Frage der Nachgeborenen: 'Warum habt ihr nichts getan?'

Wie die Publikationen der letzten Jahre verdeutlichen, hat eine wissenschaftliche Beschäftigung mit dieser vergessenen Opfergruppe des NS-Regimes erst begonnen. Für die Kirchen bedeutet dies eine erneute Hinterfragung nicht nur ihres eigenen Versagens, sondern vor allem des eigenen Anspruchs auf die Nachfolge Jesu Christi.

Die bewegenden Berichte der überlebenden Zeitzeugen in der Video-Dokumentation 'Standhaft trotz Verfolgung' (WTS, 1996) machen eines deutlich: Es gab keine 'Anweisungen der Watch Tower-Zentrale', diese kamen allein aus der Heiligen Schrift, dem Alten und dem Neuen Testament.

[Seite 37]

Die Zeugen Jehovas können sich mit Recht darauf berufen, dem 'Bösen' widerstanden zu haben. Im wörtlichen Sinne der biblischen Aufforderung haben sie ihren Anspruch, in der wahren Nachfolge Jesu Christi zu stehen, erfüllt. Die beiden großen Kirchen haben nach eigenen Eingeständnissen furchtbar versagt. Nach über sechs Jahrzehnten sollten sie den Zeugen Jehovas im Namen des Christentums Respekt für ihre Haltung erweisen.

Hätte es dieses Beispiel einer standhaften christlichen Glaubensgemeinschaft unter der nationalsozialistischen Diktatur nicht gegeben, so müßte nach Auschwitz und dem Holocaust an der Erfüllbarkeit der christlichen Lehre Jesu gezweifelt werden. [...]

[Seite 96]

Diffamierungskampagnen: eine Stasi-"Dokumentation"

Im Jahre 1961 erschien im angesehenen Hamburger Nachrichtenmagazin 'Der Spiegel' unter dem Titel 'Väterchen Frost' ein ausführlicher Artikel, der als 'Enthüllungsstory' gegen den Zweigaufseher der deutschen Wachtturm-Gesellschaft, Erich Frost, gerichtet war. Frost war 1937 von der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) verhaftet und nach brutalen Verhören ins Zuchthaus und 1941 ins Konzentrationslager eingeliefert worden, wo er bis zur Befreiung 1945 blieb. Die Verhörprotokolle konnten wegen der Namen und Angaben, die Frost dort machte, ohne Kenntnis der Zusammenhänge als 'Verrat an Glaubensbrüdern' interpretiert werden. Der Hintergrund war allerdings der, daß die dort genannten Personen teils schon verhaftet waren, einige von ihnen bereits per Haftbefehl gesucht wurden. In den Aussageprotokollen von Erich Frost standen nur die Namen, die der Gestapo ohnehin schon aus anderen Quellen bekannt waren. Da diese Protokolle damals nur dem MfS [Ministerium für Staatssicherheit] zugänglich waren, kann man mit Sicherheit davon ausgehen, daß dem 'Spiegel-Magazin' die Verhörprotokolle über fiktive von der Stasi eingerichtete westdeutsche Pressedienste in Bonn zugespielt wurden, um Erich Frost im Westen zu kompromittieren, seine moralische Integrität zu zerstören und die Gemeinschaft der Zeugen Jehovas zu verunsichern. Tatsächlich ließ sich das politische Nachrichtenmagezin darauf ein und brachte den Artikel, was für das MfS ein großer Erfolg war, da er Langzeitwirkung hatte und noch Jahre später als zitierfähig galt.

Frost war den Kommunisten besonders verhaßt, weil er sich bereits 1949 auf dem Kongreß in der Berliner Waldbühne kritisch über die [Seite 97] kommunistischen Verhältnisse geäußert hatte. Das vermeintliche Druckmittel der Naziprotokolle erwies sich aber als unwirksam, wie aus dem Bericht des auf ihn angesetzten Stasi-Informanten im Zusammenhang mit dem 'Operativen Vorgang Winter' hervorgeht. In seinem Bericht vom 12. Juli 1956 heißt es:

'Ein Interesse an der Vernichtung der Materialien besteht von Seiten des Frost nicht. Lediglich ist er daran interessiert, wer sich von unseren Staatsorganen bei Auffinden der Unterlagen dafür interessieren würde, in Erfahrung zu bringen. Damit war überraschend schnell das Thema 'Gestapo-Akten Frost' beendet.'

Nach umfassender Einsicht in die geheimen Unterlagen des DDR-Staatsicherheitsdienstes kommt Waldemar Hirch in seiner Untersuchung zu der Einschätzung:

'Zusammenfassend haben die Bemühungen des DDR-Staatssicherheitsdienstes, Erich Frost moralisch zu 'liquidieren', nicht zum Ziel geführt. Die heutige Aufarbeitung der Stasi-Akten ermöglicht uns schon jetzt ein Urteil darüber, daß das kommunistische System der DDR auch nicht für sich in Anspruch nehmen kann, jemals 'antifaschistisch' gewesen zu sein. Der 'Operative Vorgang' Erich Frost beweit, daß die DDR sogar Gestapo-Akten des brutalen, mörderischen Nazigeheimdienstes manipulierte, um ihre Ziele durchzusetzen und nicht davon zurückschreckte, ein ehemaliges Opfer des Naziterrors als Verräter öffentlich zu diffamieren. Zweifelsfrei läßt sich die historische Wahrheit inzwischen beweisen. Davon sollten auch diejenigen Gebrauch machen, die einst der gefälschten Propaganda des DDR-Geheimdienstes erlegen waren und zur Verbreitung der Unwahrheit beigetragen haben.'

Dieser Erfolg wurde noch übertroffen durch eine vom Stasi vorbereitete 'Dokumentation' über die Zeugen Jehovas, die 1970 im Urania-Verlag Leipzig und nur ein Jahr später als Lizenzausgabe in der Bundesrepublik erschien. Verräterischerweise wurde dort auch der angeblich vom 'Spiegel'-Magazin recherchierte Artikel von 1961 als 'Beweis' abgedruckt. Der vermeintliche Autor [der 'Dokumentation' von 1970, dem Urania-Buch], Manfred Gebhard, hat sich einige Jahre später in einem jahrelangen Briefwechsel mit dem Staatssekretariat für Kirchenfragen - das er zutreffend eine 'Filiale der Staatssicherheit' nennt - immer wieder von diesem 'Machwerk' distanziert.

Als ein Auftragswerk des Ministeriums für Staatssicherheit ist das Buch in jeder Hinsicht ein Meisterwerk der Fälschung. Die Kunst der Fälschung besteht bekanntich nicht darin, daß alles falsch ist, sondern in der gezielten Verzerrung von Tatsachen, der Montage von aus dem Zusammenhang [Seite 98] gerissenen Einzelinformationen, speziellen Zitaten aus echten Dokumenten und deren angeblicher 'Analyse'. Auf dieser Grundlage wurde in der DDR vier Jahrzehnte lang historische, soziologische, literarische, selbst naturwissenschaftliche 'Fach'-Literatur produziert, so daß ein Vergleich mit dem 'Wahrheitsministerium' ('Ministry of Truth') des Orwellschen Romans '1984' nicht übertrieben ist. Auch der angebliche Autor Manfred Gebhard war durchaus kein unbeschriebenes Blatt, sondern hatte bis Mitte der 70er Jahre einschlägig für das MfS gearbeitet. Als ehemaliger Zeuge Jehovas hatte er jahrelang die Pseudo-Oppositionbewegung 'Christliche Verantwortung' mitaufgebaut. 1976 kam es dann offenbar zum Bruch mit dem zuständigen 'Staatssekretariat für Kirchenfragen', dem als Dienststelle des MfS die Kontrolle über Kirchen und Religionsgemeinchaften in der DDR unterstand. Da Gebhard in den 80er Jahren unzählige Beschwerdebriefe an den Hauptabteilungsleiter dieser Behörde richtete, die alle im Zusammenhang mit dem Urania-Buch stehen, andererseits Gesprächsvermerke dieser Dienststelle mit Gebhard in den Stasi-Akten vorhanden sind, ergibt sich daraus ein ziemlich klares Bild über Entstehung und Absicht des Buches. [...]

[Seite 99]

Das Uraniabuch [DDR-Buch von "Manfred Gebhard", das den Vorwurf der "Anbiederung" der Zeugen Jehovas an Hitler verbreitet] war neben der 'Christlichen Verantwortung' das erfolgreichste Unternehmen der Staatssicherheit gegen die 'Feindzentrale' der Zeugen Jehovas. Es wurde nicht nur in der DDR, sondern 1971 auch in der Bundesrepublik zum Standardwerk mit Langzeitwirkung. Noch bis in 90er Jahre wurde es besonders von den großen Kirchen als unerschöpfliche Quelle für die Herabsetzung und Diffamierung der 'Sekte' benutzt, selbst theologische Dissertationen geben das Stasi-Buch als seriöse Quelle an. Inzwischen ist zwar die trübe Quelle des Buches bekannt geworden, allerdings ist es Manfred Gebhard bisher nicht gelungen, sich vom Stigma der Autorenschaft zu befreien. [...]

(Quellenhinweise sind den Anmerkungen im Original zu entnehmen)

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