Hermann Emter[1] über seine Mutter Elisabeth Emter:[2]

Hermann Emter about his Mother Elisabeth Emter:

  Erzwungener Abschied   Forced Departure  
  1940, ich war grade 10 Jahr.
Ein Januar-Wintertag, kalt und klar.
Wir wohnten weit draußen vor der Stadt,
wo man nur selten Besucher hat.
  1940, I was just ten years old.
January, a day of winter so clear and cold.
We lived far out in the rural part of the land
Where visitors rarely ever were at hand.
 
  Durch’s Fenster sah ich, ein Mann kommt daher.
Er ging so langsam als fiel es ihm schwer.
Er ging nicht vorbei, er trat bei uns ein.
Was will er wohl? Wer kann das sein?
  Looked out of the window, a man came up the road.
Slowly dragging his feet as if carrying a load.
He didn't walk by, it was us he came to see.
What could he want? Who could this be?
 
  "Frau Emter, Sie steh’n unter dem Verdacht,
Sie hätten Feindpropaganda gemacht.
Versteh’ meinen Auftrag ja selber nicht,
bin nur Polizist und tu meine Pflicht."
  "Mrs. Emter, you stand under suspicion,
To be active in an enemy-propaganda mission.
Personally I do not comprehend this order here,
I'm just a Policeman to carry out my duties, my dear."
 
  "Frau Emter, Sie haben sechs Kinder hier!
Setzen Sie Ihren Namen auf dieses Papier.[3]
Sie brauchen nicht lesen was hier steht!",
hat er sie beinahe angefleht.
  "Mrs. Emter, you have six little children so dear,
Just sign on this line, and we are in the clear.
You don't have to read what it says in the letter,"
He pleadingly said and hoped for the better.
 
  Allein sie sagte: "Das kann ich nicht tun.
Nie mehr ließe mich mein Gewissen ruh’n."[4]
"Was heißt hier Gewissen? Es ist Ihre Pflicht!
Ja, seh’n Sie die sechs kleinen Kinder denn nicht?"
  Straight forward she said: "That I could never do,
My conscience has to be considered here too!"
"What do you mean - conscience? It's your duty for sure,
Can't you see your children, so young and so pure?"
 
  "Zeigen Sie mir, was auf dem Blatte steht,
ich werd’ unterschreiben, wenn irgend es geht."
Sie las und wurde ganz blaß im Gesicht:
"… schwör’ ab meinem Glauben"[5] - das konnte sie nicht.
  "Well, show me what the paper says,
If it is at all possible, I'll sign," she'd say.
Her face turned white as she continued to read,
"... to denouce my faith" - Never, no never, indeed.
 
  Sie wischte sich sacht eine Träne weg,
wir standen alle ganz stumm vor Schreck.
Den Kleinsten hat sie ans Herz gedrückt,
und wie Hilfe suchend zum Himmel geblickt.
  Gently she wiped a tear from her eye.
As silenced by horror, we all stood near by.
The smallest of us she pressed to her heart
And seemed to look pleadingly heavenward.
 
  "Der himmlische Vater wird für euch sorgen.
Wir seh’n uns bald wieder, vielleicht schon morgen."
Sie wollte uns trösten an jenem Tag,
doch sie ahnte den Weg, der vor ihr lag.
  "The heavenly Father is going to care for you,
Soon, may be tomorrow, I'll again be with you."
She wanted to comfort us on that evil day,
But she already felt what would be her future way.
 
  Dem Polizisten wart unwohl, das anzuseh’n.
"Frau Emter, ihr Mantel. Wir müssen jetzt geh’n."
Er ging voraus. Sie folgte ihm stumm,
leise weinend und drehte sich nicht mehr um.
  The Policeman was uncomfortable to see this all,
"Mrs. Emter, your coat. We must go now," came his call.
He lead the way. She walked behind, silently
Didn't turn to look back, weeping quietly.
 
  Es war 1940, ich war grade zehn.
Meine Mutter hab’ ich nie wieder geseh’n.[6]
  Iit was 1940, and I just had turned ten.
Never ever did I see my mother again!
 

Quelle/ Source:

Johannes Wrobel: "Meine Mutter hab’ ich nie wieder geseh’n." Gedichte über und von Frauen, die als Zeugen Jehovas in Konzentrationslagern und Haftanstalt litten, Seite 216 / page 216, in Hans Hesse / Jürgen Harder (Hg. / Eds.): "... und wenn ich lebenslang in einem KZ bleiben müßte ..." Die Zeuginnen Jehovas in den Frauenkonzentrationslagern Moringen, Lichtenburg und Ravensbrück. Klartext Verlag, Essen 2001. Info-Seite des Autors ...

 

Notes:

1 - Hermann Emter (geb. 1930) aus Freiburg/Br. und seine fünf Geschwister Lieselotte (geb. 1927), Berta (geb. 1928), Eberhard (geb. 1932), Franz (geb. 1934) und Ernst (geb. 1937) verloren die Mutter im Januar 1940. (Der Vater, Hermann Karl Emter, geb. 1904, war vom September 1937 bis April 1945 inhaftiert, unter anderem in den KZ Dachau, Mauthausen, Flossenbürg und Buchenwald/Ohrdruf.) Daraufhin wurde der Onkel zum Vormund bestimmt. Hermann Emter schrieb das Gedicht im Mai 1990 nach einem Besuch in der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück, dem Leidensort seiner Mutter.

2 - Elisabeth Emter (geb. 1908) kam am 29. Januar 1940 zunächst für drei Monate in Freiburg in Haft und wurde dann in das FKL Ravensbrück (Häftlingsnummer 3591) überstellt.

3 - Elisabeth Emter wurde die "Ehrenerklärung" bzw. "Verpflichtungserklärung" zur Abschwörung ihres Glaubens vorgelegt.

4 - Diese Bemerkung hebt hervor, daß jeder Zeuge Jehovas eine persönliche Gewissensentscheidung traf.

5 - Der Sohn gibt den Text einer Erklärung, die Zeugen Jehovas von der Polizei, den Gerichten und den Strafanstalten zur Unterschrift vorgelegt wurde und in unterschiedlichen Fassungen bestand, hier sinngemäß wieder. Zu den "Verpflichtungserklärungen" vgl. die verschiedenen Exemplare im Anhang dieser Studie.

6 - Elisabeth Emter verlor im Juli 1942, möglicherweise in Verbindung mit den berüchtigten "Dunkeltransporten", ihr Leben. Die Verwaltung des FKL Ravensbrück schrieb am 21. Juli 1942 an ihre Schwester: "Ihre Schwester meldete sich am 15.7.42 krank und wurde daraufhin unter Aufnahme im Krankenbau in ärztliche Behandlung genommen. Es wurde ihr die bestmögliche medikamentöse und pflegerische Behandlung zuteil. Trotz aller angewendeten ärztlichen Bemühungen gelang es nicht, der Krankheit Herr zu werden. Ich spreche Ihnen zu diesem Verlust mein Beileid aus. Ihre Schwester hat keine letzten Wünsche geäußert. Ich habe die Gefangeneigentumsverwaltung meines Lagers angewiesen, den Nachlass an Ihre Anschrift zu senden. Heil Hitler! (Unterschrift) SS-Obersturmbannführer."


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