Johannes Wrobel: Kurzchronik zur Verfolgung der Zeugen Jehovas (Bibelforscher) im NS-Regime, in: Gerhard Besier / Clemens Vollnhals (Hg.), Repression und Selbstbehauptung: Die Zeugen Jehovas unter der NS- und der SED-Diktatur, Berlin 2003, S. 379 f. Inhaltsverzeichnis des Sammelbandes und weitere Zitate ... Buchinfo  ...


Kurzchronik zur Verfolgung der Zeugen Jehovas (Bibelforscher) im NS-Regime[1]

1933: Ab April Betätigungsverbote in vielen Ländern des Reiches, am 24. Juni 1933 folgt ein umfassendes Verbot der Zeugen Jehovas für Preußen. Bald kommt es zu ersten Einweisungen von Zeugen Jehovas in die frühen Konzentrationslager. Die Religionsgemeinschaft bemüht sich mit juristischen Mitteln, die Verbote aufheben zu lassen, was sich als zwecklos erweist.

1934: Rund 1 000 Zeugen Jehovas sind bislang verhaftet worden. Am 7. Oktober senden die Gläubigen Tausende Protestbriefe und Telegramme aus dem In- und Ausland an die Hitler-Regierung in Berlin.

1935: Die Gestapo legt Richtlinien für die "Schutzhaft" von Bibelforschern und ihre KZ-Einweisung fest.

1936: Gestapo und Kriminalpolizei bilden Sondernkommandos und bei den Sondergerichten werden Sonderdezernate eingerichtet, um gegen Zeugen Jehovas besser ermitteln zu können. Am 12. Dezember verteilen die Angehörigen der Glaubensgemeinschaft reichsweit eine Protestresolution.

1937: Der Minister des Innern weist Polizei und Justiz an, gegen Jehovas Zeugen "mit den schärfsten Mitteln" vorzugehen. Rund 4 000 Zeugen Jehovas sind verhaftet; es kommt zu zahlreichen "Bibelforscherprozessen". Zahlreiche Kinder werden von ihren Eltern von Amts wegen isoliert. In den Konzentrationslagern kommen Zeugen Jehovas in die "Strafkompanie". Am 20. Juni folgt die zweite reichsweiteVerteilung eines Protestflugblattes durch die Gläubigen.

1938: Mit der Veröffentlichung von Verfolgungsberichten in dem Buch "Kreuzzug gegen das Christentum" kommt die Initiative der Zeugen Jehovas, die Menschen im In- und Ausland über den NS-Terror aufzuklären, zu einem Höhepunkt. Insgesamt sind bislang 6 000 Zeugen Jehovas in Haft. In den Konzentrationslagern ist die Häftlingsgruppe der Zeugen Jehovas inzwischen durch einen "lila Winkel" stigmatisiert.

1939: Nach Kriegsbeginn können Wehrdienstverweigerer zum Tode verurteilt werden; über 250 Todesurteile werden an Zeugen Jehovas vollstreckt.

1940: Reichsweite Verhaftungswelle am 12. Juni, wobei die Gestapo gleichzeitig zahlreiche Wohnungen von Zeugen Jehovas durchsucht.

1941: Im Untergrundwerk der Zeugen Jehovas werden trotz Hinrichtungen von Funktionären (Ludwig Cyranek) weiterhin Wachtturm-Schriften vervielfältigt und landesweit zur internen Verteilung gebracht.

1942: Hitler bekräftigt, daß man die Bibelforscher "ausrotten" müsse. Dennoch kommt es zu einer relativen Verbesserung der Situation der KZ-Häftlinge, da die SS ihren wirtschaftlichen Einsatz zu fördern beginnt.

1943: Aus den Konzentrationslagern gelangen heimlich Briefe von Zeugen Jehovas nach draußen, und aus dem Untergrund werden viele Zeugen Jehovas in Deutschland und Österreich mit vervielfältigten Wachtturm-Veröffentlichungen beliefert.

1944: Die Gestapo sprengt innerhalb und außerhalb der Konzentrationslager Untergrundnetze der Zeugen Jehovas und läßt Funktionäre (Ludwig Engelhard) hinrichten.

1945: Nach dem Ende der Diktatur beginnen viele der Überlebenden, die Gemeinden neu aufzubauen. Rund 8 000 deutsche Zeugen Jehovas waren inhaftiert, insgesamt 4 000 Gläubige aus dem In- und Ausland in einem Konzentrationslager. Ingesamt büßten fast 1 500 Zeugen Jehovas im In- und Ausland durch Verfolgungsmaßnahmen oder deren Folgen das Leben ein.

[1] Ausführliche Chroniken, vgl. Jürgen Harder/Hans Hesse, Zeittafel zur Entwicklung und Verfolgung der Zeugen Jehovas, in: Hans Hesse (Hg.), "Am mutigsten waren immer wieder die Zeugen Jehovas" – Verfolgung und Widerstand der Zeugen Jehovas im Nationalsozialismus, Bremen 2000, 432-437 und Wachtturm-Gesellschaft, Lila Winkel – die "vergessenen Opfer" des NS-Regimes. Die Geschichte eines bemerkenswerten Widerstandes. Begleitheft zur Ausstellung, Selters/Taunus 1999, 30f.


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