Wulff Brebeck und Kirstin John-Stucke (Kreismuseum Wewelsburg), Dr. Detlef Garbe (KZ-Gedenkstätte Neuengamme), Johannes S. Wrobel (Geschichtsforschung), James N. Pellechia (Watch Tower Society) am 6. November 1996 anlässlich der "Weltpremiere" und Uraufführung der Videodokumentation "Standhaft trotz Verfolgung" an der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück. (Im Hintergrund die gleichnamige Ausstellung mit Szenen von den Filmaufnahmen und Interviews zum Video im November 1995.)  

Begrüßungsworte

vom Vorstandsmitglied der Wachtturm-Gesellschaft

EBERHARD FABIAN

anläßlich der Premiere der Videodokumentation

"STANDHAFT TROTZ VERFOLGUNG –
JEHOVAS
ZEUGEN UNTER DEM NS-REGIME"

am 6.  November 1996

Es gilt das gesprochene Wort
Sperrfrist: 6. 11. 1996, 14 Uhr

Wachtturm Bibel- und Traktat-Gesellschaft
Deutscher Zweig, e.V.
Am Steinfels
65618 Selters/Taunus

Begrüßung der Gäste zur Premiere der Videodokumentation
"Standhaft trotz Verfolgung – Jehovas Zeugen unter dem NS-Regime"

Ich möchte im Namen des Veranstalters dieser Videopremiere alle Gäste auf das herzlichste willkommen heißen und gleich Herrn Professor Dr. Jürgen Dittberner, den Leiter der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, und Frau Dr. Sigrid Jacobeit, die Leiterin der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück, bitten, einige Worte an unsere Gäste zu richten. [Es folgen Begrüßungsworte von Prof. Dr. Dittberner und Frau Dr. Jacobeit . . .]

Herzlichen Dank! Wir haben die Unterstützung durch die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten sehr geschätzt. So konnte das Filmteam der Watch Tower Society im November und Dezember 1995 in Brandenburg, Ravensbrück und Sachsenhausen – den Originalschauplätzen der Verfolgung und Ermordung von Zeugen Jehovas – an die Arbeit gehen. Auch in Hamburg und Neuengamme, Wewelsburg und an anderen Orten sowie in Dänemark, Schweden, in den USA und in Kanada wurden Interviews mit Zeitzeugen gemacht und filmisch festgehalten.

In Ihrer Ansprache anläßlich der Gedenkveranstaltung zum 50. Jahrestag der Befreiung des Zuchthauses Brandenburg haben Sie, sehr verehrter Herr Professor Dr. Dittberner, die "Bibelforscher" erwähnt, die neben den anderen Häftlingsgruppen von dem Staatsverbrechen im nationalsozialistischen Deutschland betroffen waren. Das haben wir aufmerksam und mit Dankbarkeit zur Kenntnis genommen. Die "Bibelforscher" oder "Jehovas Zeugen" sollten nicht länger zu den "vergessenen Opfern" des nationalsozialistischen Unrechtsstaates gehören. Die Zuschriften, die wir in den letzten Wochen auf Grund der Einladung zur Videopremiere von Gedenkstätten und Einrichtungen der Bundesländer, die sich der Dokumentation der NS-Verfolgung widmen, erhielten, haben uns sehr ermutigt.

Wir haben es nicht zuletzt Herrn Dr. Detlef Garbe, dem Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, zu verdanken, daß Jehovas Zeugen vor allem unter den Fachhistorikern den Stellenwert erhielten, der ihnen gebührt. Ich möchte Herrn Dr. Garbe besonders herzlich willkommen heißen.

In den letzten Jahren konnte man auf regionaler Ebene im ganzen Land ein wachsendes Interesse an einer sachlichen und fairen Berichterstattung über die Verfolgung der Zeugen Jehovas im sogenannten Dritten Reich feststellen. Lobenswerterweise haben auch die überregionalen Medien begonnen, die Opfer mit dem lila Winkel zu Wort kommen zu lassen – die Redaktion Zeitgeschichte des Zweiten Deutschen Fernsehens hat dafür erst kürzlich ein gutes Beispiel geliefert.

Die "Bibelforscher" gehören zur Geschichte dieses Landes. Sie sind auf Grund ihrer Missionstätigkeit der deutschen Bevölkerung seit den 20er Jahren ein Begriff. 1931 nahmen sie den Namen "Jehovas Zeugen" an. Dieser Name wurde überall, später auch in den Haftanstalten, bekannt. Das beweist zum Beispiel ein Brief des Direktors des sogenannten Frauenschutzhaftlagers Moringen im Solling vom 4. Dezember 1936 an die Gestapo Düsseldorf, in dem es heißt, daß er die "hier einsitzenden ‚Zeuginnen Jehovas‘ isoliert und über diese Frauen erneut Brief-, Paket- und Geldsperre" verhängt hat, weil "sie sich weigern, Näharbeiten für das Winterhilfswerk auszuführen". Das bringt uns zurück zu den Menschen, die als Minderheit verfolgt worden sind, weil sie sich auf Grund ihrer religiösen Überzeugung anders verhalten haben, als die Mehrheit es von ihnen erwartet hat. Viele dieser Frauen in Moringen sollten zu den ersten Häftlingen im neuen Konzentrationslager Ravensbrück gehören. Frau Dr. Jacobeit wird darauf noch in der Videodokumentation eingehen. Ich freue mich daher sehr, daß gerade hier in Ravensbrück die deutsche Videodokumentation zum erstenmal der interessierten Öffentlichkeit vorgeführt werden kann.

Bevor wir mit der Vorführung beginnen, möchte ich auch Herrn Wulff Brebeck, dem Leiter des Kreismuseums Wewelsburg, und seiner wissenschaftlichen Mitarbeiterin, Frau Kirsten John, herzlich für ihr Kommen und ihre Unterstützung danken. Ebenso Herrn Joachim Görlitz, dem Leiter der Dokumentationsstelle Brandenburg, der unserer Einladung gefolgt ist.

Ich freue mich besonders, Herrn James Pellechia von der Watchtower Society, dem Produzenten des Videos, aus Brooklyn (New York) hier willkommen zu heißen! Herr Pellechia und einige Historiker und Zeitzeugen werden nach der Vorführung einige Worte an uns richten, und Herr Willi Pohl vom Vorstand der Wachtturm-Gesellschaft wird das Programm beschließen.

Namentlich unerwähnt bleiben die vielen Zeugen Jehovas, die die NS-Verfolgung überlebten. Einigen ist es möglich, heute anwesend zu sein. Vielen ist dies aber auf Grund körperlicher Gebrechen oder hohen Alters leider nicht vergönnt. Wenn in unserer Videodokumentation 20 von ihnen zu Wort kommen, so kann das nur stellvertretend für die fast 10 000 Zeugen Jehovas aus dem In- und Ausland sein, die auf irgendeine Weise ein Opfer der Verfolgung durch das NS-Regime wurden. Mindestens 6 000 Zeugen Jehovas waren inhaftiert, fast 2 000 verloren ihr Leben. Nun, ich möchte unserer Filmdokumentation nicht vorgreifen und bitte, mit der Vorführung zu beginnen.

Interviews

und

Schlußworte

vom Vorstandsmitglied

der Wachtturm-Gesellschaft

Herr Willi K. Pohl

nach der Premiere der Videodokumentation

"STANDHAFT TROTZ VERFOLGUNG -- JEHOVAS ZEUGEN UNTER DEM NS-REGIME"

am 6. November 1996

Es gilt das gesprochen Wort!
Sperrfrist: 6.11.1996, 14 Uhr

Wachtturm Bibel- und Traktat-Gesellschaft
Deutscher Zweig, e.V.
Am Steinfels
65618 Selters/Taunus

Interviews und Schlußworte nach der Premiere der Videodokumentation "Standhaft trotz Verfolgung -- Jehovas Zeugen unter dem NS-Regime" (20 Minuten)

15.40 Uhr "Der Produzent, Zeitzeugen und Historiker kommen zu Wort."

WILLI K. POHL: Bevor wir diese Videopremiere beschließen, möchten wir noch einige Anwesende zu Wort kommen lassen. Ich bitte zuerst Herrn James N. Pellechia an das Mikrofon. Herr Pellechia aus Brooklyn, New York vertritt den Produzenten der Videodokumentation, die Watchtower Bible and Tract Society.

Herr Pellechia: Warum produzierte die Watchtower Society diese Video-Dokumentation? Und um nur eine Einzelheit herauszugreifen: Wie entstand die Musik dazu? Why did the Watchtower Society produce this documentary video? And to mention just one single detail, how was the music written?

JAMES N. PELLECHIA: The concept for this documentary began with an invitation to speak at the United States Holocaust Memorial Museum in Washington D.C. on September 29, 1994. The event: a day-long seminar, "The Nazi Assault Against Jehovah’s Witnesses."

WILLI K. POHL: Es begann mit einer Einladung, am 29. September 1994 ein Referat am Holocaust Museums der Vereinigten Staaten in Washington D.C. zu halten. Der Anlaß: ein eintägiges Seminar "Der Angriff der Nationalsozialisten auf Jehovas Zeugen".

JAMES N. PELLECHIA: It became clear that scholars and educators wanted to know more about Jehovah’s Witnesses in the Nazi era. We needed to make the growing body of research on our history available.

WILLI K. POHL: Dabei stellte sich heraus, daß von seiten der Historiker und Pädagogen mehr Informationen über Jehovas Zeugen in der NS-Zeit gewünscht wurde. Uns wurde klar, daß wir diesen Fundus über unsere eigene Geschichte, der ja ständig wächst, der Wissenschaft zur Verfügung stellen sollten.

JAMES N. PELLECHIA: The 30 minutes of music for the documentary was written by two composers and performed by musicians with the St. Louis and Colorado Symphony Orchestra in the U.S. The composers chose a string quarted to achieve a broad range of unobstrusive musical expression fitting for this European subject. One thematic element was based on a song composed by a Witness while imprisoned in Sachsenhausen. It was built into the finale piece underneath the words of Franz Wohlfahrt’s farewell poem.

WILLI K. POHL: Die 30 Minuten Musik zu der Filmdokumentation stammt von zwei Komponisten und wurde von Musikern des Symphonieorchesters von St. Louis und Colorado (USA) gespielt. Die Komponisten entschieden sich für das Streichquartett, das eine breite Palette unaufdringlicher musikalischer Ausdrucksmöglichkeiten bietet, passend zu diesem rein europäischen Thema. E i n musikalischer Gedanke basiert auf einem Lied, das ein Zeuge während seiner Haft im Lager Sachsenhausen komponierte. Es wurde in den Schlußteil aufgenommen und dem Abschiedsgedicht unterlegt, das Franz Wohlfahrt spricht.

James N. Pellechia: Academics and scholars are intrigued with the Witness experience. Historians and educators know what the Witnesses went through, and they want materials that could be used to teach this history. In the growing field of Holocaust education, academics see the story of the Witnesses as potentially valuable curriculum for teaching lessons of history, tolerance, and ethics.

WILLI K. POHL: Personen, die in Forschung und Lehre arbeiten, sind von der Erfahrung der Zeugen Jehovas überaus beeindruckt, und ihnen ist bekannt, was die Zeugen durchgemacht haben. Ihnen ist an Material gelegen, daß sie im Unterricht und bei Vorlesungen verwenden können. Da im Unterricht immer häufiger der Holocaust zur Sprache kommt, erkennen Pädagogen, wie wertvoll die Geschichte der Zeugen Jehovas ist, um Geschichte, Toleranz und Ethik zu lehren.

James N. Pellechia: We are now working on a teaching guide and edited classroom version of the documentary for use in schools, universities, and education resource centers. As of today, the Stand Firm documentary will be translated into 24 languages, with more to be added. Its initial release in German and English is 500,000 copies.

WILLI K. POHL: Wir arbeiten gegenwärtig an einem Leitfaden für Pädagogen und an einer gekürzten Videofassung, die für den Gebrauch an Schulen, Universitäten und anderen Bildungseinrichtungen geeignet ist. Gegenwärtig wird die Videodokumentation in 24 Sprachen übersetzt, und die Erstauflage in Deutsch und Englisch beträgt 500,000 Kopien.

JAMES N. PELLECHIA: In summary, the Watchtower Society is pleased to release to the public a remarkable, well-documented story about ordinary people who reacted in extraordinary ways in the face of monstrous evil. As the survivors of this tragedy reach the end of their lives, they leave us a legacy of faith, courage, and triumph.

WILLI K. POHL: Zusammenfassend wäre zu sagen: Die Watchtower Society möchte der Öffentlichkeit eine außergewöhnliche, gut recherierte Dokumentation über gewöhnliche Menschen vorlegen, die angesichts scheußlicher Greueltaten auf außergewöhnliche Weise reagiert haben. Selbst wenn die Überlebenden dieser Tragödie mit der Zeit nicht mehr unter uns weilen, so hinterlassen sie uns doch das Vermächtnis ihres Glaubens, ihres Mutes und ihres Triumphes.

WILLI K. POHL: Herzlichen Dank. Nun bitte ich die folgenden Personen, nach vorn zu kommen und der Reihe nach einige Worte zu uns zu sprechen:

1) Joachim Görlitz (Gedenkstätte und Dokumentationsstelle Brandenburg)

2) Gertrud Pötzinger (Selters/Taunus)

3) Josef Rehwald (Berlin)

4) Wulff Brebeck (Gedenkstätte und Kreismuseum Wewelsburg)

5) Dr. Detlef Garbe (KZ Gedenkstätte Neuengamme)

6) Max und Simone Liebster (Frankreich)

7) Franz Wohlfahrt (Österreich)

16.00 Uhr WILLI K. POHL: Erlauben Sie mir folgende Schlußbemerkung, die an das anknüpft, was auch Herr Pellechia zum Ausdruck gebracht hat:

Die Generation, die miterlebte, wie Andersdenkende stigmatisiert und durch Staatsunrecht verfolgt und vernichtet wurden, wird es eines Tages nicht mehr geben. Bundespräsident Professor Dr. Roman Herzog hat zu Recht den 27. Januar zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus proklamiert und dazu aufgerufen, Formen des Erinnern zu finden, die in die Zukunft wirken. Dies sei eine Verpflichtung aus unserer Geschichte heraus.

Erinnern, mahnen und gedenken sind Synonyme, wobei Vergangenes bewußt wiederhervorgebracht wird. Filmdokumentationen, wie unser Video "Standhaft trotz Verfolgung -- Jehovas Zeugen unter dem NS-Regime", sind eine wichtige Form des Erinnerns oder Gedenkens. Sie sprechen zu den Menschen, selbst wenn die Augenzeugen, Opfer und Betroffenen nicht mehr selbst die Erinnerung an das, was geschah, wach halten können. Da die Videodokumentation in vielen Weltsprachen produziert wird, kann seine mahnende Wirkung praktisch global sein.

Wir würden es uns aus diesem Grund sehr wünschen, daß Schulen, Universitäten und Gedenkstätten regen Gebrauch von dieser Videodokumentation machen. Wir stellen sie ab Januar 1997 allen Interessenten auf Anfrage kostenfrei zur Verfügung. Und wir hoffen, daß auch die Medien die Opfer des Nationalsozialismus mit dem lila Winkel nicht vergessen, denn ungefähr fünf bis zehn Prozent der KZ-Häftlinge in der Vorkriegszeit waren ja Zeugen Jehovas.

Herzlichen Dank an alle, die diese Veranstaltung ermöglicht haben, nicht zuletzt dem Vermieter dieser Halle, sei herzlich gedankt, ebenso den vielen freiwilligen Helfern.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und eröffne hiermit das Büfett. Für die Beantwortung von Fragen stehe ich hier vor der Bühne gern zur Verfügung.